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Lektüren #1: Ein junger Herr aus Neapel / Die Autobiographie des Giuliano di Sansevero (Andrea Giovene)

Lektüren #1: Ein junger Herr aus Neapel / Die Autobiographie des Giuliano di Sansevero (Andrea Giovene)

Als ich das Buch vor rund zwei Wochen beiseite legte, war ich mir nicht sicher, ob meine Faszination nicht doch im Wesentlichen aus der Genese seiner Anschaffung herrührte, die mich an eine Reise nach Hamburg erinnert.

Nunmehr, mit genügend zeitlichem Abstand, kann ich feststellen: Das ist nicht der Fall. Das insgesamt fünfbändige, tatsächlich autobiographisch motivierte Werk Giovenes ist mit Thomas Manns „Buddenbrooks“ verglichen worden, und in der Tat haben wir es mit einer „Abstiegsgeschichte“ zu tun, die aber wohl einerseits abgeschwächt wird durch den Erfindungsreichtum des Hauptprotagonisten, der seine altadlige Familie zwar verliert, aber ein freies Leben als Künstler erstreitet – anders eben als bei den Buddenbrooks steht hier, so scheint es mir, das Individuum vor dem Hintergrund seiner Familie im Mittelpunkt und nicht die Familie vor dem Hintergrund diverser Familien, und andererseits nimmt uns der Erzähler mit ins Neapel der Jahrhundertwende und bis in die 20er Jahre. Und so scheint eben selbst im kalten Klosterinternat, in das der Junge gesteckt wird, immer das Licht Kampaniens durch. Mag sein, dass hier die deutsche Italiensehnsucht in mir durchbricht, doch mir scheint es, als ob der Text sanfter sei als die norddeutschen Buddenbrooks, vielleicht liegt das aber auch am apodiktischen Erzählen, in dem die (Liebes-)Dramen der Jugend zusammenschnurren zu ein paar sonnigen Momenten am Strand, zu Sehnsüchteleien, die man noch mit Büchern bekämpfen kann, zu Schritten auf dem Weg zur Selbstbestimmung. Das mochte ich gern. Die vier Folgebände stehen auf meiner Leseliste – meinen Buchhändler dürfte das ebenso freuen wir mein Bücherregal, doch ich traue mich nicht ganz, weiterzulesen, denn der Erzähler entfernt sich mehr und mehr aus Neapel und landet schließlich in – Norddeutschland.

Andererseits, wer kann selbst der zweifelhaften Schönheit der norddeutschen Tiefebene entkommen, wenn die Übersetzung durch Moshe Kahn sprachlich so geschliffen ist wie im vorliegenden Band – und welcher Deutschlehrer wird nicht schwach bei einem Autor, der den Nichterhalt des Nobelpreises wie den abflachenden Erfolg des Werkes in den 70ern den „Avantgardisten“ und ihrer sprachlichen Beliebigkeit in die Schuhe schiebt: „Die letzten Papierpfeile schossen von der Avantgarde gegen mich. Mein uralter Name und mein Respekt vor der Grammatik verursachten mehr als einem dieser Phalanx Herzeleid“, überliefert Ulrike Voswinkel in ihrem Nachwort.

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