In bestimmten Straßen der heutigen Leeraner Altstadt wie Westerende, Kirchstraße, Kampstraße, Norderkreuz-/Süderkreuzstraße, Brummelburgstraße und der Alten Marktstraße hat man damals in Weberhäusern gewohnt. Weberhäuser sind kleine Stadthäuser, in denen ein Weber mit seiner Familie auf engstem Raum lebte und arbeitete. Es sind schmale, vier bis fünf Meter breite und etwa zehn Meter lange, meist eingeschossige Gebäude (Traufenhäuser* ohne Zierformen). In den kleinsten dieser Häuser gab es zur Straße und zum Hof nur je einen Raum. Der eine war Wohnküche, der andere Arbeitsraum. An der Mittelwand waren zu beiden Seiten schmale Schlafbutzen eingebaut.
(* Traufenhäuser sind Gebäude, die mit der Traufe [Tropfkante am Dach] und dem Dachfirst [höchste waagerechte Kante des Daches] parallel zur angrenzenden Straße stehen.)

aus: Leer. Gestern, heute, morgen. S. 45
(Heutzutage existiert in der Alten Marktstraße in Leer kein Gebäude mehr mit der Nr. 6.)
Die oben genannten Straßen lagen vor 200 Jahren im Randbereich des Fleckens. Flecken ist eine Bezeichnung für eine kleinere, aber regional bedeutende Ansiedlung.
In einer damaligen Gasse zwischen Plytenbergschule und der Blinke (Westerende) standen Weberhäuser, die in den 70iger Jahren für die Entstehung von Straßen und Blocks der Neuen Heimat abgerissen wurden.
- Wer lebte / lebt in den Häusern der Kernstadt Leer?
In den Weberhäusern lebten Leinenweberfamilien. Es waren Mennoniten, niederländische Glaubensflüchtlinge, durch die Leer eine wirtschaftliche Entwicklung erlebte. 1740 lebten von 5000 Einwohnern 20% von der Leinenweberei. Es war also zeitweise jeder fünfte Leeraner Bürger in der Leinenwirtschaft tätig. Sie spannen Garn und woben Leinwand im Heimgewerbe. Wichtig für die Herstellung der Garne und Leinwand waren die von kleinen Wasserkuhlen und -gräben durchzogenen „Bleichen“. Die Leinenweberei entwickelte sich im 16. und 17. Jahrhundert zum Haupterwerbszweig. Leinen aus Ostfriesland wurden in alle Länder Europas, besonders nach Spanien und England exportiert. Es war eine Epoche, die für die Entwicklung von Leer äußerst wichtig war.
Heute leben in den Weberhäusern Bürger der Stadt Leer. Das Weberhaus in der Norderkreuzstraße 17 dient als Ferienwohnung.
- Wann wurden die Weberhäuser gebaut?
Weberhäuser entstanden im 17. Jahrhundert. Denn dort wurden immer mehr Stoffe im eigenen Haus für Textilfabriken hergestellt. In Leer war die Hochphase der Leinenweberei im 17. Jahrhundert. Am 8. Oktober 1651 wurde das Handwerk vom Grafen Enno Ludwig als Zunft anerkannt. Die Existenz der Weber war dadurch gesichert.
- Welchen Zweck hatte es dort zu wohnen?
Es war damals ein Wohnhaus und gleichzeitig auch eine Arbeitsstätte.
- Warum wurde so gebaut?
Die Größe und der Grundriss der Häuser wurden an der Größe des Webstuhls bemessen, der in der Webstube im Vorderhaus stand. Ein typisches Weberhaus ist doppelt so breit wie ein Webstuhl. Es wurde so gebaut wie es für die Nutzung erforderlich war und es die wirtschaftlichen Möglichkeiten erlaubten.
- War es praktisch dort zu wohnen?
Das praktische war, dass man viele Familien auf kleinem Raum kostengünstig unterbrachte, die ihr Wohnhaus auch gleichzeitig als Arbeitsstätte nutzten. Ansonsten waren es wohl eher schwierige Bedingungen des Wohnens und Arbeitens auf engem Raum mit niedrigen Decken und Türen.
- Würde man heutzutage auch noch so wohnen?
Nein, in einem Haushalt lebten damals bis zu 13 Personen. Heutzutage gibt es hauptsächlich Kleinfamilien, die in großen Wohnungen bzw. Häusern leben. Die Wohnkultur war sehr beengt.
- Wieso webt man heutzutage nicht mehr zu Hause?
Aufgrund der Mechanisierung lohnt es sich nicht, zu Hause mit großen Webstühlen zu arbeiten.



Quellen:
- Alls anners worrn, Leer 1850-2005 – Eine Stadt verändert ihr Gesicht; Gabriele Boschbach; ZGO Zeitungsgruppe; S. 147: Ein Zentrum der Leinenweberei
- Alls anners worrn 2, Die Stadt Leer – Von den Anfängen bis zur Gegenwart; Dr. Gerwin Gräfe; ZGO Zeitungsgruppe; S. 110-111: Bauern treiben Vieh durch die Straßen; S. 114-117: „Gesangbuch unter dem Arm, Düvel unter der Schürze“
- Leer. Gestern, heute, morgen.; Herausgeber: Stadt Leer; G. Rautenberg Leer, 1973; S. 42-45
- Leer Leda-Stadt mit bewegter Geschichte; Eva Requardt-Schohaus; Verlag SKN; S. 41-45: Mit den Webern kam der Reichtum
- Zeit für Geschichte; Gymnasium Niedersachsen 7/8; Christian Chmelensky u.a.; Schroedel Westermann Verlag; S. 84-85: England – mit Dampf ins industrielle Zeitalter